Porta Magazin: Die Kunst- und Kulturbranche leidet seit einem Jahr unter den Auswirkungen von Corona. Wie sind Sie durch die letzten zwölf Monate gekommen?
Mathias Richling: Ich persönlich bin bisher ganz gut durch die Krise gekommen. Ich habe zwar - wie alle anderen auch - viele Vorstellungen absagen müssen. Bei mir waren es inzwischen über 70. Aber ich kann meine TV-Sendung „Mathias-Richling-Show“ im SWR machen. Ich habe meine Mitarbeiter nicht auf Kurzarbeit setzen müssen. Aber das hat natürlich damit zu tun, dass ich keine 20 oder 30 Jahre alt mehr bin und Rücklagen habe. Die zwar auch allmählich an ihre Grenzen kommen. Wenn ich mich also empöre über Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten und Missmanagement und Versäumnisse und inzwischen auch Gier in der Bewältigung dieser Krise, dann weil ich entsetzt bin über die Ohnmacht und Trostlosigkeit vieler Kollegen und Freunde, die vor der Pleite stehen oder dem Aufgeben ihres Berufes. Es macht sich eine Depression breit in der Gesellschaft, die schwer erträglich ist. Und deren Folgen offensichtlich in Regierungskreisen konsequent ignoriert werden. Zum Beispiel mit Bemerkungen der baden-württembergischen Landesregierung, dass der größte Teil der Wirtschaft von der Corona-Krise nicht betroffen sei. Was vielleicht im gesamten Bruttosozialprodukt hinkommen mag, weil online-Handel und Handwerksbetriebe jetzt übermäßig zu tun haben. Aber es blendet in infamer Weise aus, dass der Deutsche Städtetag in Innenstädten bei Einzelhändlern, Kleinunternehmern, Kleintheatern etc mit bis zu 65% Insolvenzen rechnet. Von der kommenden Arbeitslosigkeit dadurch gar nicht zu reden. Wenn dann mal - taktischerweise nach der Bundestagswahl - der Trick mit der Kurzarbeit und der damit verbundenen Garantie auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes beendet werden wird.
PM: Im April soll es endlich wieder mit Auftritten vor Publikum losgehen, sofern die Inzidenzwerte diese Pläne nicht durchkreuzen. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu den Theaterbesuchern?
Mathias Richling: Der ist den Künstlern ausgesprochen wichtig. Aber er ist genauso wichtig für die Zuschauer. Der Mensch ist ein Gefühlswesen, das Nähe braucht, wenn es nicht sozial und seelisch verkümmern will. Wir haben schon das Problem, dass Kinder heutzutage die meiste Zeit vor PC oder Smartphone sitzen, statt wie vor Jahrzehnten im direkten Kontakt mit Gleichaltrigen "auf der Straße" oder dem Spielplatz, dem Wald oder dem Park herum zu tollen. Nun droht der Mensch vollends zur aseptischen Kreatur zu verkommen.
PM: Während in den letzten Monaten Klarheit darüber bestand, dass es keine Auftritte vor Publikum geben würde, sehen die aktuellen Regelungen vor, dass Theater bei bestimmten Inzidenzwerten betrieben oder nicht betrieben werden dürfen. Macht das die Planungen für Sie als Künstler nicht noch schwieriger?
Mathias Richling: Ja, natürlich. Jedes Gastspiel braucht für Werbung, Plakatierung, Bekanntmachung eine teilweise monatelange Vorlaufzeit. Sie können nicht heute sagen, morgen machen wir die Theater wieder auf und übermorgen sind alle Zuschauer da. Abgesehen davon, dass Karl Lauterbach mit Holzhammermethoden jeden kleinsten Hoffnungsschimmer, der avisiert wird, sofort beantwortet mit „Dritte, vierte, achte Welle!!!“. Wodurch die Menschen teils immer noch so verschreckt werden, dass sie gar keine Tickets bestellen. Selbst wenn Öffnungen jetzt angekündigt würden. Wobei ich betonen möchte, dass dieses Hoffnung-Geben in dieser Krise bis vor kurzem völlig außen vor blieb. Den Satz „Wir schaffen das“ aus der Flüchtlingskrise von 2015 hat Frau Merkel nie wiederholt in dieser Zeit. Und er wäre hier wichtiger als damals. Denn immer nur zu hören: Es wird furchtbar, es wird grauenhaft, erträgt der Mensch auf Dauer nicht. Selbst wenn es stimmt. Es ist eine Frage der Psychologie, um die sich bei den Entscheidungsträgern niemand zu scheren scheint.
PM: Sie sind ein scharfer – und scharfsinniger – Kritiker der Coronamaßnahmen, haben aber auch deutlich gemacht, dass Sie kein Coronaleugner oder Verharmloser sind. Vor ein paar Wochen hätte ich noch gesagt, dass man sich mit einer solch differenzierten Positionierung trotzdem heftiger Kritik aussetzt. Hat sich das inzwischen verändert? Nehmen Sie wahr, dass die Bürgerinnen und Bürger ungeduldiger und kritischer gegenüber den Maßnahmen werden?
Mathias Richling: Auf jeden Fall. Das ist deutlich zu spüren. Weil die Angst vor einem Virus sich sukzessive verlagert in die Angst vor einem wirtschaftlichen oder sozialen oder auch psychischen Ruin. Weil sich die Klein-Unternehmer, die Gastronomen, die Künstler, Sänger, Schauspieler, Einzelhändler inzwischen sagen, ich nehme eher das Risiko einer Erkrankung auf mich, bevor ich mich aus dem Fenster stürze, weil ich nichts mehr habe. Im österreichischen Linz hat vor ein paar Wochen eine Frau ihr Cafe geöffnet. Trotz damaligem Lockdown. Weil sie sagte, sie habe nicht mal mehr Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen. Weil sie sich sagte, entweder verhungere ich ganz bestimmt gleich, oder ich verschaffe mir einen kleinen Aufschub. Denn wenn, dann habe ich eventuell mit Corona eine bis zu 98-prozentige Überlebenschance.
PM: Ich bin etwas aufgeschreckt, als Sie in ihrer Mathias Richling Show sagten, es gäbe sicher eine freiwillige Vereinbarung zwischen Presse und Regierung, dass die Presse die Entscheidungen der Regierung im Katastrophenfall nicht in Frage stelle. Die Presse wird aus bestimmten Kreisen als Systempresse oder Lügenpresse beschimpft und Redakteure werden bedroht. Glauben Sie wirklich, dass die Presse zu unkritisch ist?
Mathias Richling: Nein, das glaube ich im Prinzip ganz gewiss nicht. Ich habe aber in meiner Sendung diesen Ansatz erläutert und auch als logisch erklärt, indem ich ergänzt habe, dass in einem Katastrophenfall wie es ein Krieg wäre, die Regierung sich beispielsweise dafür entscheidet, in Moskau einzufallen und dann die Presse auch nicht erklären kann: Paris wäre uns aber lieber gewesen. Der Katastrophenfall ist ja hier in dieser Corona-Krise nicht nur von Herrn Söder wörtlich, von allen anderen zwischen den Zeilen ausgerufen. Da machte eine solche Übereinkunft Sinn, weil sonst mit völligem Chaos und mehr Panik zu rechnen wäre. Allerdings war ich von Anfang an verwundert, dass bei der aktuellen Lage nicht mehr kritische Betrachtung auf dem Programm stand. Zumal ich den Rund-Um-Schlag der Maßnahmen - wie inzwischen viele andere seriöse Fachleute und Beobachter auch - nicht verstanden habe. Ich habe mich immer berufen auf die offiziellen Angaben von RKI, WHO und Regierung und auch Presse, die sagten, dass circa 85% der Infizierten keine Symptome hätten. Dass die Sterberate bei 0,2 bis 2 Prozent liegt. Und ich war irritiert, dass immer nur von den Infizierten gesprochen wird, aber nicht von denen, die real erkrankt sind. Nebenbei bemerkt, ist die Sterberate bei Pest über 60 Prozent, bei Aids lag sie die ersten langen Jahre bei 100 Prozent. Aber zurück zu Ihrer Frage…
PM: Wenn Medien als Systemmedien verunglimpft werden, bezieht das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ein. Die Mathias Richling Show läuft im SWR. Wie werden Sie auf Linie gebracht?
Mathias Richling: Ich werde überhaupt nicht auf Linie gebracht. Und ich persönlich habe die, wie Sie sagen, „Systemmedien“ auch nie verunglimpft. Mir war zwar in dieser Corona-Zeit sowohl in news wie in talks die Berichterstattung zu einseitig. Aber ich habe mir das ja als Notwendigkeit erklärt. Auch wenn ich damit nicht einverstanden sein muss und es als systemirrelevant kritisieren darf, wenn ich diese Kritik gut begründe. Das kann ich in der „Mathias-Richling-Show“. Und der SWR, respektive seine Verantwortlichen, haben mich darin immer gefördert und unterstützt. Weswegen man „die Medien“ nie in einen Topf werfen darf.
PM: Sie persiflieren in Ihren Programmen auf unnachahmliche Weise alles, was in der Politik Rang und Namen hat. Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Mathias Richling: Nein, eine Lieblingsfigur habe ich nicht. Jedenfalls nicht dauerhaft. Ich möchte keinen bevorzugen. Satire lebt zwar von der subjektiven Blickweise. Aber eine gewisse Objektivität im Subjektiven sollte doch gewahrt sein. Am reizvollsten jedenfalls sind die Figuren, die sich nicht sofort für eine Karikatur oder eine Parodie erschließen. Bei Winfried Kretschmann beispielsweise reicht ein einfaches, laut ausgestoßenes „Jjjaaa“, und der Zuschauer erkennt sofort, wer gemeint ist. Aber die Charakteristik sich zu erarbeiten von einem Christian Lindner oder einem Herrn Walter-Borjahns ist das wirklich Spannende. Diese würde der Zuschauer nicht mal erkennen, wenn sie persönlich von hinter der Bühne zu hören wären. Das sind eigentlich die Lieblingsgestalten, wenn man sie in ihrer gewissen farblosen Persönlichkeit interessant machen kann.
PM: Vor ein paar Monaten Philipp Amthor, jetzt Georg Nüßlein und Nikolas Löbel – als wenn es nicht schon so genug Politikverdrossenheit geben würde, müssen immer mal wieder ein paar Experten ihren eigenen Vorteil anstelle des Allgemeinwohls in den Vordergrund stellen. Bringt Sie so etwas noch aus der Fassung?
Mathias Richling: Allerdings. „Aus der Fassung bringen“, ist noch milde formuliert. Es macht ungeheuer wütend. Vor allem die Unverfrorenheit, eigenen Lug und Betrug gar nicht mehr verbergen zu wollen, wo doch bekannt ist, dass durch Internet und neue Medien, durch facebook, twitter, instagram jedes Handeln und Tun vor allem von Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen, umgehend durchleuchtet und aufgedeckt wird. Die Chance, heute erwischt zu werden, ist also unendlich viel größer als vor 20 oder 30 Jahren. Und dennoch leisten sich Politiker diese Flut von Missbräuchen? Das wird man nie abgeklärt beurteilen können.
PM: Grundsätzlich gefragt: Ist das politische Kabarett auch ein Ventil, durch das man die Verärgerung über den alltäglichen Wahnsinn wenigstens in humorvoller Weise ablassen kann?
Mathias Richling: Ja.
PM: Ich habe den Eindruck, manche politischen Gestalten kann man noch so überspitzt darstellen und es reicht doch nicht an die Absurdität des Originals heran. Geht Ihnen das auch so?
Mathias Richling: Absolut. Jedoch muss man sagen, dass der Zuschauer in der Betrachtung der originalen Absurdität diese oft gar nicht erkennen kann. Weil er sie instinktiv gar nicht für möglich hält. Wenn zum Beispiel Frau Merkel innerhalb einer Pressekonferenz zu Corona und dem Leid der Kranken aber auch dem Leid derer, die die so genannten Kollateralschäden zu tragen haben, sagt, das Amt mache ihr Freude. Oder sie würde MANCHMAL nachts wach, und denke über die Dinge nach. Dann erkennt man erst in einem anderen Zusammenhang wie in meiner Satire-Show die Banalität und Ignoranz, die aus solchen Sätzen spricht.
PM: Vielen Dank für das Gespräch.