Und das am Heiligabend

Und das am Heiligabend

Schwarzbrennen - Hermann seine „Runkelschluckfabrik“.

 

Es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, von der Währungsreform sprach noch niemand. Dezimierte Familien, Flüchtlingselend und die Not der Evakuierten waren überall gegenwärtig. Jeder versuchte, irgendwie über die Runden zu kommen. Zu kaufen gab es kaum etwas. Die Regale in den wenigen geöffneten Geschäften waren leer.

Schwarzschlachten und Schwarzbrennen stand unter Strafe und war trotzdem landauf, landab bei allen zur Gewohnheit geworden, die Gelegenheit dazu hatten. Aus Zwetschgen, Birnen, Äpfeln, aus Zuckerrüben und Kartoffeln, aus allem, was die Natur dafür hergab, wurde zuhause „Selbstgebrannter“ produziert. Es war die große Zeit der Tüftler und Erfinder.

So geschah es auch in einem Haus im Nammer Westen. Geben wir der Familie den Namen Bunte. Vater Hermann, bei der Metallfabrik Baumgarten in Neesen beschäftigt, brachte alles handwerkliche Geschick mit und versuchte auf unterschiedlichste Art, seiner Familie in schwieriger Zeit ein halbwegs vernünftiges Leben zu ermöglichen. Kurz vor Weihnachten 1947: Bei den Buntes in der Küche, sie wohnten dicht an der Grenze nach Lerbeck, zischte, brodelte und gluckerte es verdächtig.

Aber beginnen wir die Geschichte an ihrem Anfang. Lina Bunte, in der Saison Hofhelferin beim Strahnmöller, hatte sich bei ihm einen Handwagen voll Zuckerrüben organisiert. Vater war auf seiner Arbeitsstelle, Mutter und die beiden Kinder zerkleinerten die Zuckerrunkeln in mühevoller Arbeit zu Schnitzeln. Zwei Tage hatten sie zu tun, Stunde für Stunde.

Was dann passierte, war Willi und Anne, den beiden Kindern, vorerst nicht klar. Sie bekamen von den Eltern nur immer wieder gesagt: „In unsere Küche lasst ihr niemanden hinein. Sagt keinem Menschen, was Papa dort aufgebaut hat.“ Aber nach und nach lüftete sich das Geheimnis. Wieder einmal war Stromsperre, wie so häufig. Die Familie saß abends beim Talglicht in der Küche zusammen.

So bekamen Willi und Anne dann mit, wie sich die Eltern über mögliche Folgen von Schwarzbrennerei unterhielten. Wörter wie „Polizei“ und „womöglich Gefängnisstrafe“ fielen. Für die beiden Kleinen wurde die Sache spannend und spannender, und nahm fast schon kriminelle Züge an.

Vater, für die Kinder der Erfinder durch und durch, hatte quer durch die Küche eine Destillieranlage mit Kessel, langen Schläuchen und Spiralen aus Glas aufgebaut. Jeden Abend nahm er eine Probe von dem Zuckerrüben-Destillat und war anscheinend ganz zufrieden mit dem, was sich da am Ende seiner Tüftelanlage tropfenweise im Glaskolben sammelte
Heimlich machte auch Willi eine kleine Genussprobe. Doch die wurde zu einer einzigen Enttäuschung. Wegen dieses widerlichen Gebräus riskierte der Papa kriminell zu werden, vielleicht sogar im „Kittchen“ zu landen? Die Geschwister warteten den Lauf der Dinge erst einmal ab.

Doch die Angelegenheit nahm Schwung auf, als Mama ein Fläschchen grüner Flüssigkeit nach Haus brachte. „Pfefferminzessenz“ stand auf dem Etikett. Und nach Pfefferminz roch es bis in den Flur, als sie den Korken nur ein wenig lüftete. Weitere Tage vergingen, die Weihnachtswoche begann. Tropfen für Tropfen füllte sich der Glaskolben an der Destillieranlage.
Heiligabend: Endlich tat sich was in Papas „Runkelschluckfabrik“. Mutter holte vor Mittag die Kristallkaraffe aus dem Stubenschrank. Willi und Anne hatte sie nebenan zum Baden in die Zinkwanne beordert. Ein Badezimmer kannte man noch nicht. Beide konnten ihre zappelige Unruhe vor dem Heiligen Abend kaum im Zaum halten. Die Eltern waren in der Küche in ihre verbotenen Geschäfte eingebunden: Runkelschnaps abfüllen und Pfefferminzlikör mischen.

Es herrschte tiefster Familienfrieden am frühen Heiligen Abend. Eigentlich war die Stille zu still. Man konnte die Spannung richtig knistern hören. Da – plötzlich ein Knall! Geschrei aus der Küche. Danach – wieder absolute Ruhe.

Die Kinder stürzten nackig und nass in die Schnapsbude und sahen nur noch Rübenschnitzel, auf dem Boden, auf dem Tisch, auf den Stühlen, an den Scheiben des Küchenschrankes, in den Gardinen. Und mittendrin standen Mama und Papa, starr vor Schrecken, schnitzelbekleckert. Voller Mitleid sah Willi seinen Papa an und sagt leise zu Anne: „Wie Rübezahl, just am Tag vor Ferienbeginn hat uns Lehrer Watermann (Schreuers Heini) in der Schule von ihm und Weihnachten im Riesengebirge erzählt.“ Tatsächlich – eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu verleugnen.

Da stand die Familie nun inmitten des ganzen Dilemmas. Papas geniale Erfindung war Heiligabend über den Köpfen der Eltern explodiert. Zwischen dem Chaos schwamm ein Rest an Flüssigkeit, der mal Runkelschnaps und Pfefferminzlikör werden sollte. Der erste Schrecken war überwunden, aber so aus den Fugen und neben der Spur hatten Willi und Anne ihren Papa noch nie gesehen. Die Eltern befreiten sich gegenseitig und dann – einträchtig mit den Kindern – die Küche von der gröbsten Schweinerei, süß und klebrig.

Alle waren froh, dass der Knall nicht auch noch die Nachbarschaft oder Wilhelm Barkowski, den am Lehmberg, gleich hinter der nahen Lerbecker Ortsgrenze wohnenden Dorfpolizisten, auf den Weg gebracht hatte. Die Beweislast wäre erdrückend gewesen. Des Gendarmen oberste Pflicht war es in der wilden Zeit, in seinem Zuständigkeitsbereich neben Schwarzhändlern, Schwarzschlachtern und Wilddieben auch den Schwarzbrennern das Handwerk zu legen.

Mutter Lina fasste als erste wieder klare Gedanken. „Es geht auf Kaffeezeit zu. Wir müssen uns zur Christvesper in der Lerbecker Kirche fertig machen.“ Zu Fuß ging die Familie den halbstündigen Weg zur Kirchspiels-Hauptkirche. Als Kirchmeister Heinrich Fröhning am großen Weihnachtsbaum neben der Kanzel die Kerzen anzündete, fand Hermann Bunte so langsam seine innere Ruhe wieder. Der Posaunenchor begleitete, der Kirchenchor sang, Kantor Tofaute spielte die Orgel, Pastor Schallenberg predigte über das Weihnachtsevangelium. Die altvertrauten Weihnachtslieder ließen bei Buntes das Dilemma vom Morgen so langsam vergessen. Und als bei dem ausgangs gesungenen „O du fröhliche“ Heinrich Kuhlmann bei den Posaunen die Oberstimme ansetzte, war nicht bloß für Willi und Anne, da war auch für Mama und Papa ums Herz richtig Weihnachten geworden. Draußen hatte leichter Schneefall eingesetzt, als beim Hinausgehen jeder seinem Nächsten „Frohe Weihnachten“ wünschte.

Bildzeile:

Weihnachten gerettet: Nach dem häuslichen Chaos fanden auch die Buntes in der Christvesper in der Kirchspiels-Hauptkirche Lerbeck, auf unserem Foto schneebedeckt, ihre innere Ruhe wieder.

Zuckerrüben: Früher wie heute wertvolles Naturprodukt und unverzichtbar, in der "schlechten Zeit" sogar, wenn "schwarzgebrannt" wurde.

 

Text und Foto: Kurt Römming

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