Rom, die katholische Kirche und das Schinkenbrötchen

Rom, die katholische Kirche und das Schinkenbrötchen

Gespräch mit dem Bestseller-Autor Andreas Englisch: Seit 30 Jahren lebt Andreas Englisch in Rom und gilt als einer der profiliertesten Vatikan-Journalisten. Seine Bücher über Johannes-Paul II, Benedikt XVI und Franziskus sind Bestseller. Auch in Talkshows ist er ein gern gesehener Gast, weil er nicht nur über ein profundes Wissen zum Thema Vatikan verfügt, sondern auch sehr unterhaltsam erzählt.

Natürlich hat Andreas Englisch auch fundierte Kenntnisse über Rom, die Stadt, die er schon als Jugendlicher kennen und lieben lernte. In seinem aktuellen Buch „Mein Rom – Die Geheimnisse der Ewigen Stadt“ vermittelt er den Lesern auf ganz besondere Art im Zwiegespräch mit seinem 17-jährigen Sohn Leonardo Wissenswertes zu Sehenswürdigkeiten aus 3000 Jahren Kunst-, Kultur- und Kirchengeschichte. Pünktlich zur Buchveröffentlichung hatten wir die Gelegenheit, mit Andreas Englisch zu sprechen.

 

Porta Magazin: Herr Englisch, bisher haben Sie über Päpste geschrieben. Ihr aktuelles Buch befasst sich mit Ihrer Wahlheimat Rom und sehr privaten Geschichten, die Ihren Sohn und Sie selbst betreffen. Das ist mal was anderes. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Andreas Englisch: Das hatte einen ganz konkreten Anlass. Es gab bei uns zuhause einen riesigen Krach, weil mein Sohn eine Vorbereitung für eine Fremdenführerschule machen sollte. Er ist ja in Rom aufgewachsen, also hatte ich mir überhaupt keine Sorgen gemacht. Er war bei meinen Führungen, wenn ich durch die Stadt gegangen bin, immer dabei. Er hat alle meine elf Bücher in seinem Zimmer und dann kommt er nach Hause und sagt: „Ich bin durchgefallen.“ Ich habe gesagt: „Das kann doch nicht wahr sein. Du kannst doch in einer Prüfung über Rom nicht durchfallen. Das gibt es doch gar nicht.“ Aber er sagte: „Ich habe es irgendwie verbockt.“ Er bekam aber eine zweite Chance und konnte das noch mal nachholen. Da habe ich gesagt: „Wir beide gehen jetzt mal los, gucken uns in den paar Tagen, in denen Du das lernen musst, diese Stadt zusammen an und sehen zu, dass du das schaffst.“ Das war der Anfang.

 

Porta Magazin: Und dann haben Sie gedacht, wenn Sie schon eine Führung durch Rom machen, ließe sich das gut in einem Buch verarbeiten?

 

Andreas Englisch: Nicht von Anfang an. Ich mache das ja schon ziemlich lange, dass ich Rom zeige. Es hat immer wieder Leute gegeben, die dann gesagt haben: „Sie erklären das ganz anders als die normalen Fremdenführer. Warum schreiben Sie das nicht mal auf?“ Als ich mit meinem Sohn durch die Stadt ging, war das ähnlich. Er meinte dann: „Warum machen wir nicht ein Buch daraus?“ So ist das entstanden.

 

Porta Magazin: Das Buch wird beschrieben als Liebeserklärung an Rom. Ist das nicht nur die halbe Wahrheit? Ist es nicht auch eine Liebeserklärung an Ihren Sohn?

Andreas Englisch: Ja, in einer gewissen Weise auch. Wir haben es zusammen gemacht und hatten dabei eine gute Zeit. Das stimmt schon. Aber wir haben uns dabei – das ist in dem Buch zu lesen – manchmal auch ganz heftig gestritten. Es war halt seine digitale Welt, die auf meine analoge traf. Er fand alles das, was mit Büchern zu tun hat, ganz schrecklich. Es ist schon ein ziemlich komisches Gefühl für mich, mit meinem Sohn durch die Stadt zu laufen, der nichts so sehr ablehnt wie gedruckte Bücher.

 

Porta Magazin: Wenn Sie beispielsweise schreiben, dass Sie Ihren Sohn entsetzt mit den Worten „Hast Du sie noch alle“ angeraunzt haben, ist das so erfrischend ehrlich und authentisch. War das für Ihren Sohn immer okay? Hatten Sie immer freie Hand oder hat Leonardo schon mal gesagt: Das schreibst Du so nicht!

Andreas Englisch: Ich habe das natürlich mit meinem Sohn besprochen und er fand das okay. Es lag ihm sogar etwas daran, dass es so ehrlich wie möglich wird, so wie es wirklich war. Und das habe ich dann auch gemacht. Wir haben versucht, die Stadt so zu erzählen, wie sie ist. Dabei war sogar der größere Verdienst der meines Sohnes. Er sagt immer: „Deine Geschichte über das Schinkenbrötchen erzählt mehr über Rom als alles andere.“ Es ist ja überall auf der Welt relativ einfach, ein Schinkenbrot zu kaufen. Außer in Rom. Wenn Sie in Rom in einen Lebensmittelladen gehen und sagen, Sie möchten ein panino al prosciutto, dann schneidet der Händler das Brötchen auf, legt die Schinkenscheibe hinein und dann schreit garantiert irgendjemand in der Reihe hinter Ihnen: „Ach was, nur Schinken in das Brötchen, das geht auf keinen Fall, da muss noch Käse rein.“ Dann schreit jemand Drittes: „Nein, siehst Du nicht, wie fett der ist? Der kann doch keinen Käse essen. Da müssen getrocknete Tomaten rein.“ Und dann brüllt der nächste: „Wieso Tomaten? Da müssen Kapern rein.“ Irgendwann fragt der Händler dann den Urlauber: „Welchen der gut gemeinten Ratschläge meiner Kunden wollen Sie denn jetzt annehmen?“ Aber weil die Urlauber in dem ganzen Geschrei dann nichts mehr verstehen, hauen sie völlig genervt aus dem Laden ab und die Römer zwinkern sich zu und denken: „Wieder einen eliminiert, der vor uns in der Schlange stand.“ Das ist der Alltag und das war meinem Sohn ganz wichtig, dass das in dem Buch rüber kommt.

 

Porta Magazin: Sie schreiben, dass Sie von einer Sekunde auf die andere verstanden, mit einem Italiener unter einem Dach zu leben. In Deutschland haben es die Kinder vor Einwandererfamilien derzeit ziemlich schwer, selbst wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie haben mit Ressentiments zu tun und es wird von ihnen erwartet, dass sie sich zu einer Nation bekennen und von der anderen abwenden. In Italien gibt es auch einen politischen Rechtsruck. Spüren Sie das oder bekommt Ihr Sohn das zu spüren?

Andreas Englisch: Überhaupt kein bisschen. Ich muss ehrlich sagen, über das was ich aus Deutschland lese, bin ich immer fassungslos. Ich habe einen Großteil meines Lebens im Ausland verbracht, und das unter verschärften Bedingungen. Wir haben fast die gesamten Zeit in einer Gegend in Rom verbracht, in der sehr viele jüdische Familien wohnen. Auch in unserem Wohnhaus haben immer viele Juden gewohnt. Wir sind in den 30 Jahren nicht ein einziges mal blöd angemacht worden. Dass das in Deutschland so ist, finde ich beschämend.

 

Porta Magazin: Natürlich komme ich nicht umhin, mit Ihnen auch über den Papst zu sprechen. Man sagt, die Wahl von Jorge Mario Bergoglio sei eine Art Unfall gewesen. Die Kardinäle hätten nicht erwartet, dass er die erforderliche Mehrheit bekäme. Sie selbst bezeichnen Franziskus als Heiligen. Hatte beim Konklave eine höhere Macht ihre Finger im Spiel?

Andreas Englisch: Das ist eine sehr gute Frage. Aber ich glaube, die kann ich nicht beantworten. Das weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass die Lage der katholischen Kirche nach dem Rücktritt von Benedikt so schwierig war, dass die Wahlkardinäle, die auf der Welt verteilt sind, auf die Kurienkardinäle, die in Rom regierten, wahnsinnig sauer waren. Sie wollten einen knallharten Reformer. Und der knallhärteste, der sich anbot, war Bergoglio. Es war auch bekannt beim Konklave, dass es keinen anderen gab, der bereit sein würde, das Risiko einzugehen, sich mit der Kurie regelrecht anzulegen. Und das ist dann ja auch passiert.

 

Porta Magazin: Davon waren die Kurienkardinäle nicht begeistert.

Andreas Englisch: Nein, die haben mit allen Mitteln versucht, Bergoglio zu verhindern. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass es zwei Gruppen von Kardinälen gibt. Es gibt die Kurienkardinäle, die in Rom leben und die Kirche regieren. Und dann gibt es die Kardinäle, die auf die ganze Welt verteilt sind. Das ist die Mehrheit, etwa zweidrittel. Die Kurienkardinäle wollten auf keinen Fall einen Chef wie Bergoglio. Die haben sich dagegen mit Händen und Füßen gewehrt. Das war für die ein Alptraum. Aber die Wahlkardinäle haben gesagt, die Jungs in Rom müssen mal so einen vorgesetzt bekommen, damit sie endlich aufhören, Mist zu bauen. Damals gab es ja jede Menge Probleme, eines der Größten war das der Bank. Die Geschichte war völlig aus dem Ruder gelaufen. Die europäische Bankenaufsicht fing an gegen die Vatikanbank vorzugehen, weil dort so viele Schmiergeschäfte liefen. Die Kardinäle wollten einen Papst, der den Stall ausmistet und haben sich im Konklave gegen die Kurie durchgesetzt.

 

Porta Magazin: Kürzlich sagte Franziskus so etwas revolutionäres, dass Eltern ihre homosexuellen Kinder nicht verurteilen, sondern Gespräche führen, verstehen und dem Sohn oder der Tochter einen Platz geben sollten. Und im nächsten Satz kommt ein Verweis auf die Psychiatrie. Ist seine Heiligkeit da etwas unbedarft auf einer Nachfrage ausgerutscht?

Andreas Englisch: Da hat er sich verquatscht. Dazu müssen Sie folgendes wissen: Als Bergoglio Erzbischof war, war er der Sekretär des Kardinals von Buenos Aires. Und dieser Kardinal war ein extrem homophober Typ. Gegen den ist selbst die Staatsanwaltschaft in Argentinien vorgegangen, weil er nahezu ununterbrochen Homosexuelle beleidigte. In diesem Umfeld war Bergoglio jahrelang und hat sich diese Sprüche, die er in dieser Situation gesagt hat, immer wieder angehört. Er fand das aber immer falsch und hat das verurteilt. In diesem Moment im Flugzeug war er wahrscheinlich müde, nicht mehr konzentriert, was weiß ich... Und dann fängt er an, so einen Quatsch zu faseln. Er hat sich in dem Augenblick vermutlich zwanzig Jahre zurück versetzt gefühlt. Damals musste er solch einen Unsinn ja erzählen, weil er sonst aus seinem Job geflogen wäre. Die Aussage wurde ja später auch korrigiert, der Vatikan ist mit aller Macht zurückgerudert. Das ist blöd und peinlich, aber die Sache ist doch: Entweder haben Sie einen Papst, der immer die Klappe hält. Dann macht er auch keine Fehler. Oder Sie haben einen Papst, der manchmal auch redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Dann wird er irgendwann in fünf Jahren auch mal etwas sagen, was Mist ist. Das machen Sie und ich auch. Mir ist ein Papst lieber, der sich ab und zu mal verquatscht.

 

Porta Magazin: Auch wegen seines Umgangs mit den Missbrauchsfällen wird Franziskus kritisiert. Aber ist er in seine Möglichkeiten nicht auch ein Stück weit begrenzt, wenn er kein Schisma riskieren will?

Andreas Englisch: Da haben Sie Recht. Er haut ja wirklich mit aller Macht rein. Er hat dem Washingtoner Kardinal McCarrick die Kardinalswürde genommen. Das ist in den letzten hundert Jahren nur einmal passiert. Das ist eine Maßnahme, die ist so brutal, dass man jemandem am Ende seines Lebens sein ganzes Lebenswerk zerstört. Das passiert eigentlich nie. Dass Franziskus das gemacht hat, zeigt, wie hart er vorgeht, wenn Beweise vorliegen. Ich glaube, an Härte mangelt es diesem Papst nicht. Aber er hat mit diesem Missbrauchsthema ein riesiges Problem. Das ist unbestritten. Das hat die Kirche unter seinem Vorgänger Benedikt XVI einfach hoffnungslos unterschätzt. Die haben damals immer gesagt, das sei ein Problem, das auf die USA beschränkt ist. Diese Idee war natürlich schon immer Schwachsinn. Warum sollten Menschen, die sich zu Kindern hingezogen fühlen und Priester sind, nur in den USA Schweinereien begehen. Das war schlimmer Quatsch. Jetzt stellt sich halt heraus, dass es ein weltweites Problem enormen Ausmaßes ist. Ich denke, das ist nicht einfach, was Franziskus da machen muss.

 

Porta Magazin: Trotz aller Kritik halte ich Franziskus für den liberalsten Papst aller Zeiten. Hat er eine Chance, die katholische Kirche nachhaltig zu verändern oder wartet die Kurie nur auf einen konservativen Papst, der wieder Goldkreuz, Hermelin und rote Schuhe trägt?

Andreas Englisch: Sagen wir es mal so: Er hat bisher alles getan, um die Kirche zu globalisieren und in eine neue Richtung zu lenken. Beispielsweise hat er das Kardinalskollegium komplett umgebaut. Normalerweise ist es so, dass bestimmte Städte ein Anrecht darauf haben, dass der Erzbischof Kardinal wird. Das ist seit Jahrhunderten so. Und Franziskus hält sich nicht daran. Weder Venedig hat einen Kardinal, noch Mailand, noch Bologna. Das ist eine Sensation. Dafür gibt es jetzt Kardinäle in Tansania, Korea und Australien. Die europäischen Kardinäle haben die Mehrheit verloren. Erstmals in der Geschichte sind die Kardinäle von außerhalb stärker als die Kardinäle Europas. Aber ob es beim nächsten Konklave nicht trotzdem eine Rolle rückwärts gibt, ob die Kardinäle nach diesem super liberalen Papst eine super konservative Ausrichtung der Kirche wollen, das vermag ich nicht zu sagen. Zumal die meisten Menschen eine völlig falsche Vorstellung haben. Sie denken, es sollte mal endlich ein afrikanischer Kardinal kommen, weil die so liberal sind. Die sind alles andere als liberal. Ich glaube, das Rennen ist völlig offen. Ich würde leicht dazu neigen und ich hoffe, dass ein Reformer da weiter macht, wo Franziskus aufhören wird.

 

Porta Magazin: Zurück zu Ihnen - arbeiten Sie bereits an einem neuen Buch oder planen Sie ein weiteres Projekt, auf das sich die Leser freuen können?

Andreas Englisch: Es wird ein neues Buch geben über diesen Papst. Da bin ich gerade dabei. Und wir arbeiten an einem Film, auch über diesen Papst. Ich hoffe, dass beides gelingen wird. Aber jetzt bin ich auch erstmal damit beschäftigt, dass mein Buch über Rom in Deutschland ein Erfolg wird, weil ich glaube, dass das für die Leser ein großes Vergnügen sein kann.

 

Porta Magazin: Herr Englisch, danke für das Gespräch.

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