„Oft schießen mir Tränen in die Augen“

„Oft schießen mir Tränen in die Augen“

Gespräch mit einer Foodtruckerin über ihr Leben in der Pandemie.

Wie lange kann man wirtschaftlich überleben, wenn die Geschäftsgrundlage von heute auf morgen wegfällt? Macht Not tatsächlich erfinderisch? Und was macht es mit der Psyche, wenn man immer wieder hofft, bald seinem Beruf wieder nachgehen zu können, am Ende aber doch von einem Lockdown in den nächsten schlittert? [möglicherweise diesen Absatz ersatzlos streichen] Die Veranstaltungsbranche, dazu gehören auch Foodtrucker und Schausteller, leiden seit Beginn der Corona-Pandemie unter existenzbedrohlichen Umsatzeinbrüchen, teilweise um bis zu 100 Prozent.

Marnie Laubinger aus Holzhausen ist eine von ihnen. Sie betreibt mit ihrem Lebensgefährten Rainer Vogt „Die kleine Crêperie“. Auf Stadtfesten, Weihnachtsmärkten und anderen Veranstaltungen bieten die beiden französische Crêpes-Spezialitäten nach Familienrezept. Mit Verkaufsständen für Körnerkissen und Seifen haben sie weitere Standbeine, mit denen sie jedoch ebenfalls auf Veranstaltungen angewiesen sind. Dennoch, aufgeben ist für Marnie Laubinger keine Option. „Mir war von Anfang an klar, dass Corona nicht von heute auf morgen wieder verschwindet. Darum bin ich immer bemüht, eine Idee zum Geldverdienen zu finden“, sagt sie. Immerhin hatte die Unternehmerin Rücklagen gebildet, doch die sind nach einem Jahr Pandemie aufgebraucht.

Porta Magazin: Frau Laubinger, seit über einem Jahr können Sie Ihren Beruf nicht mehr wie gewohnt ausüben. Wie geht es Ihnen?

Marnie Laubinger: Mir geht es schlecht mit der Situation. Ich habe schon viele schlaflose Nächte hinter mir und oftmals schießen mir die Tränen in die Augen, wenn ich meine Foodtrucks hier unbenutzt rumstehen sehe. Ich bin nicht gemacht für das Leben zu Hause, ich muss raus und unterwegs sein. Ich liebe meinen Beruf und vermisse meine Crêpes-Kunden sehr. Aber es ist wie es ist. Von daher: Kopf hoch und weitermachen.

Zu Beginn der Pandemie haben Sie sehr schnell reagiert und selbstgenähte Masken verkauft. Konnten Sie damit die Umsatzrückgänge der Crêperie auffangen?

Unsere Maskennäherei hat uns Spaß gemacht, all unsere Stammkunden haben uns unterstützt und wir waren überwältigt von dieser Welle an Hilfsbereitschaft. Es hat sich auch gelohnt, um einige offene Posten aus März und April 2020 auszugleichen. Die Verluste aus der Crêperie konnten wir damit aber leider nicht einmal ansatzweise auffangen.

Auch im weiteren Verlauf der Pandemie haben Sie immer wieder Wege gefunden, wenigstens in kleinem Rahmen etwas zu arbeiten. Sind Sie generell ein kreativer und erfinderischer Mensch?

Mein Motto ist: Aufgeben ist keine Option! Ich bin kein Mensch, der den Kopf in Sand steckt und hofft, dass jemand kommt und mir hilft. Ich habe immer irgendwelche Ideen, damit es weitergehen kann und wir unseren Betrieb halten können, auch wenn es schwer ist.

Im letzten Sommer haben Sie bei sich zuhause in Holzhausen ein Gartencafé eröffnet. Wie ist das bei den Gästen angekommen?

Unser Gartencafé ist super angekommen und wir hatten sehr viel Spaß. Diese Idee haben wir von einer Reise durch Frankreich mitgebracht. Ursprünglich war und ist es noch immer mein Herzenswunsch, ein Buch-Café am Meer zu eröffnen. Daran arbeiten wir auch aktuell.

Gab es große Hürden hinsichtlich der erforderlichen Genehmigungen?

Wir haben ein tolles Ordnungsamt hinter uns stehen. Auch das Bauamt unterstützt uns, wo es nur kann. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ich glaube, ohne Corona würden wir keine Genehmigung für so ein Projekt mitten in einem Wohngebiet erhalten. Es war so schön zu sehen, wie die Besucher bei uns abschalten konnten und ihren Cappuccino und den Crêpes oder die Waffel genießen konnten und sich sichtlich wohlfühlten zwischen Vogelgezwitscher in unserer grünen Oase. Die Mutter, dessen Kind auf der Hüpfburg toben konnte, während sie ganz in Ruhe ihr Buch las und ihren Kaffee genoss; der Altenclub, der einmal im Monat hier seinen Kaffeeklatsch abhielt; die vielen Gäste, die ihren Sonntagskaffee bei uns verbracht haben und sich mit Freunden verabredet haben; unsere Nachbarn, die uns so sehr unterstützt und immer für Umsatz gesorgt haben - all das zaubert mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Aber trotzdem wünsche ich mir mein Leben mit Foodtruck-Festivals, Firmencaterings, Hochzeits- und Geburtstags-Caterings, Stadtfesten, Landpartien und Weihnachtsmärkten zurück. Das ist mein Leben, meine Berufung. Damit verdiene ich mein Geld. Und nichts kann das ersetzen.

Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie zu kämpfen?

Schwierigkeiten hatten wir soweit keine, jedenfalls nichts, was uns aus der Bahn geworfen hätte oder womit wir nicht mit klargekommen wären. Wir haben ein großartiges Team aus Personal, Freunden und Familie, die uns unterstützt haben und immer für uns da sind!

Dürfen sich die Gäste auch in diesem Jahr wieder auf ein Gartencafé freuen?

Die Genehmigung fürs Gartencafé 2021 ist erteilt. Ob wir dieses Jahr aber auch tatsächlich öffnen können, hängt von der Corona-Verordnung ab. Wenn es nur mit tagesaktuellem negativem Coronatest aus der Teststation möglich ist, werden wir wohl nicht öffnen. Da ist der bürokratische Aufwand zu hoch. Wir müssten zusätzliches Personal einstellen, das die Testergebnisse kontrolliert. Wir werden sehen, was kommt. Wenn die Gastronomie wie im letzten Jahr öffnen darf, dann wird es wieder ein Gartencafé geben.

„Die kleine Crêperie“ hat auch an der Wittekindsburg und im Gewerbegebiet Barkhausen gestanden. Dort mussten Regeln eingehalten werden, wie Abstand halten und Verzehr mit einem Mindestabstand vom Geschäft. Hat das gut funktioniert?

99 Prozent der Kunden haben sich daran gehalten. Und wir sind so dankbar gewesen über die Möglichkeit, dass wir dort stehen und Geld verdienen durften. Aber als das Verzehrverbot, die Maskenpflicht auf Parkplätzen und die 50-Meter-Regelung kamen, hat es keinen Sinn mehr gemacht. Auch wenn die Mehrheit sich daran gehalten hat, gab es einige Kunden, die gegen die Auflagen verstoßen haben. Von da an hatten wir keinen Spaß mehr, zumal wir für die Einhaltung der Auflagen zuständig waren und auch eine mögliche Strafe von bis zu 25.000 Euro für die Missachtung der Regeln durch einige wenige Kunden hätten zahlen müssen.

Die Bundesregierung hat zahlreiche Hilfspakete aufgelegt und schnelle Hilfe versprochen. Tatsächlich klagen viele Unternehmer, dass die Hilfspakete viel zu kompliziert und nicht ausreichend seien. Außerdem verliefe die Auszahlung viel zu schleppend. Wie sind Ihre Erfahrungen? Haben Sie finanzielle Hilfen bekommen?

Wir haben die Soforthilfe und die Überbrückungshilfe 2 erhalten. Danach war Schluss. Für die November- und Dezemberhilfe sind wir nicht antragsberechtigt, da wir als Mischbetrieb eingestuft sind und auf dem Weihnachtsmarkt unser Einkommen mit Körnerkissen statt der Crêperie verdienen. Da rutschen wir leider durchs Raster, wie viele andere auch! Und die von der Politik beschlossene finanzielle Unterstützung gilt ja nur für die betrieblichen Kosten. Den privaten Bedarf wie Krankenversicherung, Lebensmittel, Miete usw. dürfen wir damit ja nicht ausgleichen.

Was ist Ihre Erwartung an die Politik? Was muss besser laufen?

Ich habe keine Erwartungen mehr an die Politik. Ich glaube, die haben sich verrannt und wissen selbst nicht mehr weiter. Ein Stück weit tun sie mir leid, ich möchte nicht in deren Haut stecken und diese Entscheidungen treffen müssen. Und ich denke, bevor nicht die Mehrzahl der Menschen geimpft ist, wird es für unsere Branche nicht weitergehen!

Zu Silvester haben viele Menschen gedacht, ein nicht gerade gutes Jahr ginge zu Ende und 2021 würde alles besser werden. Diese Hoffnung ist inzwischen hinfällig. Nach einer zweiten und dritten Welle sind Lockerungen von Coronamaßnahmen wenigstens im Bereich der Großveranstaltungen nicht in Sicht. Was macht das mit Ihnen, wenn Ihre Hoffnung auf eine berufliche Normalität ein ums andere Mal platzt?

Ehrlich gesagt war mir klar, dass es auch 2021 keine Veranstaltungen geben wird. Von daher überrascht mich das Ganze nicht mehr. Ich gehe seit Oktober anderweitig in Vollzeit arbeiten und wir haben ein paar kleine Aufträge in der Raumausstattung. Das hält uns über Wasser. Wenn ich allerdings an unsere Verluste 2020 und auch 2021 denke, wird mir schlecht. Das können wir nie wieder aufholen und unsere Rücklagen sind auch aufgebraucht.

Das Stadtfest ist noch nicht offiziell abgesagt, aber realistisch ist es nicht, daran zu glauben, dass es stattfinden wird. Sind Sie noch zuversichtlich, dass wenigstens die Weihnachtsmärkte in diesem Jahr wieder stattfinden können?

Es wird kein Stadtfest geben und ich glaube, es wird auch dieses Jahr kein Weihnachtsmarkt stattfinden können, es sei denn, wir kommen mit dem Impfen endlich voran und erreichen Herdenimmunität. So schwierig momentan auch alles ist - auch das werden wir überstehen. Es wird sehr sehr schwer werden und es wird weiterhin viele schlaflose Nächte geben und es werden sicherlich auch noch viele Tränen fließen. Aber das Wichtigste im Leben ist und bleibt die Gesundheit. Es ist wie es ist - aber es wird, was man daraus macht. Auch 365 Tage im faktischen Berufsverbot und sehr wahrscheinlich weitere 365 Tage lassen mich nicht die Lust am Leben verlieren oder ans Aufgeben denken.

Vielen Dank für dieses offene Gespräch.

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